Unser Mitgefühl gilt allen Opfern in der Ostukraine. Dieser Krieg um Einflusssphären hätte durch vorzeitige Verhandlungen vermieden werden können, wurde der Ukraine jedoch von aussen wider Willen aufgezwungen. Inzwischen verlieren auch russische Staatsbürger in Uniform ihr Leben auf ukrainischem Territorium: angeblich wurden diese zufällig auf ukrainisches Gebiet geschickt. Doch es ist wahrscheinlicher, dass die Politiker des Kreml nicht nur den Westen belügen, sondern auch ihre eigene Bevölkerung und ihre eigenen Soldaten. Denen erzählt sie, sie würden zu Manöverübungen geschickt – und plötzlich befinden sie sich dann im Kampfgebiet, angeblich aber kaum glaubhaft „aus Versehen“.
Der Ukraine droht Bürgerkrieg und eine Spaltung des Landes. Sanktionen beenden keinen Bürgerkrieg.
von Freddy Kühne
In der Ukraine droht die Saat Putin`s aufzugehen: die Annexion der Krim war nur der Auftakt. Im Ziel, eine eurasische Wirtschaftsunion aus Russland, der Ukraine, Weissrussland und Kazachstan aufzubauen und Russland wieder zu einem größeren Einflussbereich zu verhelfen, sind Putin sehr viele Mittel recht.
Die Destabilisierung der Ostukraine wurde von prorussichen Kräften mit Rückendeckung und auch logistischer Unterstützung aus Moskau begonnen. Die Regierung in Kiew hat gar keine reale Möglichkeit, dem Konflikt aus dem Weg zu gehen. Denn entweder sie schaut tatenlos zu, wie russische Aktivisten mit Moskauer Rückendeckung eine Stadt nach der anderen „befreien“, was aus Kiewer Sicht Terrorismus ist. Oder aber die Kiewer Regierung muss mit militärischen Sondereinheiten und Gewalt diese so besetzten Gebiete befreien – was Russland die Steilvorlage für militärische Interventionen gibt.
Das hat Wladimir Putin ganz genauso beabsichtigt und geplant. Einzig und allein die vom Westen hart angedrohten Wirtschaftssanktionen haben Moskau bisher noch vor dem Einmarsch in die Ostukraine abgeschreckt. Aber inzwischen ist der Zug in Richtung Eskalation von Moskau schon so weit aufs Gleis gesetzt, dass Moskau hier nicht mehr zurückrudern kann und auch nicht mehr zurückrudern wird. Putin wird sich die Ost- und Südukraine mit der Begründung einverleiben, dem „Morden und dem Chaos“ ein Ende zu bereiten. Dann wird er sich als Ordnungsmacht gerieren. Er wird sich als Anker der Stabilität und des Friedens feiern lassen.
Der Fehler, den die EU und die Nato derzeit machen, ist, dass sie diesem putinschen Drehbuch aussser Sanktionen nichts entgegensetzen. Die liberalen Regierungen im Westen scheuen den militärischen Konflikt. Und damit verraten sie ihre eigenen Werte. Denn sie lassen die Menschen vom Maidan, die sich für eine Annäherung der Ukraine an die EU monatelang in bitterster Kälte friedlich demonstrierend unter freiem Himmel eingesetzt haben, im Stich.
Putin`s inszeniertes Chaos wird dazu führen, dass auch die Wahlen in der Ukraine nicht stattfinden können. Und genau das liegt auch in der Absicht Moskaus. Denn Moskau will Wahlen verhindern, bei denen pro-europäische Parteien an die Macht gelangen könnten.
Der Nato bleibt nur noch ein wenig Zeit, um nicht die ganze Ukraine in die Hände Russlands fallen zu lassen: sie muss Truppen bis zum westlichen Ufer des Dnjepr schicken. Tut sie es nicht, wird die Ukraine früher oder später möglicherweise komplett in russische Hände geraten. Zumindest aber der Teil östlich den Dnjpr-Flusses wird von Russland okkupiert werden, um eine Landverbindung zur Krim zu schaffen.
Die Freilassung der OSZE-Geiseln ist leider wieder nur einmal ein PR-Trick Putins. Ebenso wie die Winterspiele von Sotschi ein PR-Gag waren. Auch der Auftritt von Putin mit Snowden wird von Putin als PR in Szene gesetzt – vor allem, um in Deutschland einen Keil die Partnerschaft mit den USA zu treiben.
Wer dieses Spiel nicht durchschaut – dem ist nicht mehr zu helfen.
Fakt ist, dass die Ukraine nun in einen jahrelangen Bürgerkrieg mit Tausenden von Opfern geraten könnte.Verhindern können das nur noch die großen Ordnungsmächte der Nato und Russlands. Entweder dadurch, indem die Ordnungsmächte der Diplomatie nun endlich den Vorrang gewähren und die Unterstützung für die Separatisten gestoppt wird. Oder indem die Ordnungsmächte ihre eigenen Truppen in die Ukraine schicken, um den Bürgerkrieg zu stoppen. Ansonsten drohen jugoslawische oder syrische Verhältnisse. Denn Sanktionen allein beenden keinen Bürgerkrieg.
Wenn der Westen Putin keine klare Grenzen und Signale setzt, sondern einzig und allein weiter auf eine Mischung von Deeskaltion, Diplomatie und Sanktionen, wird dies Putin nicht von seinem Ziel der Spaltung der Ukraine abbringen.
Und nur, um dies erneut klarzustellen: Russland hatte diesem UN-Mitgliedsstaat zusammen mit den USA und Großbritannien höchstfeierlich die Sicherheit seiner Grenzen vertraglich zugesichert, nachdem die Ukraine nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion freiwillig die Atombomben an Russland zurückgab.
Die Vorwürfe, die man landauf landab zu hören bekommt, die EU wäre Mitschuld an dieser Situation, weil die EU Russland vor den Verhandlungen mit der Ukraine nicht in die Gespräche eingebunden hat, haben eine gewissen Charme. Dennoch: Die EU hatte Verhandlungen mit einem autarken, selbstständigen UN-Mitgliedsstaat Ukraine geführt. Warum also einen Drittstaat um Erlaubnis fragen? Doch die Gegenfrage, ob Russland seinerseits die Europäische Union in die jenseitigen Gespräche mit der Ukraine einzubeziehen habe, nimmt man mit Erstaunen und Unglauben zur Kenntnis. Putin selbst hat bei seinen Drohungen und Aktionen mit der ukrainischen Regierung Janukowitsch`s oder auch gegen diese, z.B. beim Absperren des Gashahns, nie die EU um Rat oder gar um Erlaubnis gefragt. Warum also sollte die EU dies ihrerseits getan haben?
Nun hilft alles „Hätte“, „Wäre“ nicht mehr weiter und ist nicht zielführend.
Zum Ziel eines friedlichen Zusammenlebens führen nun nur noch das sich schließende Zeitfenster der Diplomatie – oder aber harte militärische Ordnungsmassnahmen. Sanktionen allein für sich selber beenden keinen Bürgerkrieg.
„Die EU und die Nato seien der wahre Aggressor“ bekomme ich zu hören, wenn ich mit Passanten auf der Straße spreche. „Warum muss sich die EU nach Osten ausdehnen? Was hat die Nato an der russischen Grenze zu suchen?“ wird mir im aggressiven Tonfall vorwurfsvoll mitgeteilt. Ruhig und sachlich zu argumentieren, ist das oberste Gebot der Stunde, wenn man mit Passanten über Politik in der Fußgängerzone diskutiert.
Karte: Mitgliedsländer der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit
in Europa (OSZE)
Doch es ist schwierig in einer aufgeheizten Lage mit logischen Argumenten zu punkten. Dennoch ist es einen Versuch wert. „Nicht die EU ist der Aggressor entgegne ich. Sondern Putin ist es. Er versucht ein Groß-Russland zu schaffen und setzt sich dabei über Völkerrecht hinweg. Erst holt er sich mit Gewalt die Krim, danach die Ostukraine. Möglicherweise nochviel mehr.“ Ich stelle die Gegenfrage: „Wieso leiden die Russen unter der Paranoia, dass sie eingekreist werden? Ein so riesiges Land wie Russland, das vom Pazifik bis nach Europa reicht, hat eine solche Paranoia doch gar nicht nötig, liefere ich die Antwort direkt mit.“ Doch keine Chance. „Das stimmt doch. Russland wird doch eingekreist.“ lautet die Antwort. Und: „Russland holt sich doch nur das zurück,was immer schon zu Russland gehört hat“ wird mir entgegnet. Ich stelle die Gegenfrage: „Was wäre Ihre Reaktion, würde Deutschland so agieren wie Russland und sich die nach dem zweiten Weltkrieg verlorenen Gebiete zurückerobern“ ? Kurzes Schweigen. Dann kommt die Antwort: „Das ist doch etwas ganz anderes.“ … Ich füge zudem noch hinzu, dass es doch selbstverständlich ist, dass das Volk in der Ukraine alleine für sich selbst entscheiden kann, ob es sich in Richtung Europa oder Russland orientieren will. Doch auch hier dringt die Argumentation nicht durch. „Die Leute in der Ukraine wollen doch zu 70 Prozent nach Russland“ bekomme ich als Antwort. Darauf entgegne ich, dass dieser Umfragewert nur für bestimmte Städte in der Ostukraine und auf der Krim zutrifft, nicht aber für die gesamte Ostukraine. Es sind insgesamt nicht mehr als ca. 11 Prozent der Bevölkerung, die einen Anschluss der Ostukraine an Russland anstreben. Doch man glaubt mir die Zahlen nicht. Die Meinung des Gesprächspartners scheint einbetoniert zu sein und sich von wahren Fakten nicht erschüttern zu lassen.
Der Westen will verhandeln, alle an einen Tisch bringen, reden, deeskalieren. Doch Putin lässt sich davon nicht beeindrucken. Er hat sein Militär an der Ostgrenze zur Ukraine zusammengezogen. Er ermuntert in der Ostukraine nicht nur die Separatisten, sondern – genau wie in der Krim – hat er dort inzwischen uniformierte Spezialkräfte – wieder einmal ohne Hoheitsabzeichen – zusammengezogen. Putin gibt den starken Mann. Er zerstört die Ukraine. Aus geostrategischen und militärischen Gründen. Aber vor allem, weil er Angst hatte, dass eine erfolgreiche Demokratisierung der Ukraine für ihn selbst in Russland auch gefährlich werden kann.
Putin hat sein Militär hochgerüstet, modernisiert und gut ausgebildet in den letzten 10 Jahren. Jetzt will er die Rendite dafür einfahren. Putin ist ein russischer Nationalist. Er will die alte Größe des russisch-sowjetischen Imperiums wieder herstellen. Und in dieser Hinsicht ähnelt er Hitler: er benutzt dieselben Strategien und Argumente wie Hitler anno dazumals beim Einmarsch ins Sudetenland -oder beim Anschluss Österreichs. Damals haben die Westmächte auf Appeasement gemacht. Und mussten am Ende einen hohen Preis für ihre Nachlässigkeit zahlen. Der Westen scheint diese Nachlässigkeit zu wiederholen: die Appeasementpolitik gegenüber Putin wird den Westen teuer zu stehen kommen.
Es wird Zeit für die Rote Karte für den roten Nationalisten in Moskau. Ansonsten holt er sich nach der Krim die Ostukraine, danach die Südostukraine bis zur Krim, dann Transnistrien und danach die Zentral- und Westukraine. Auch Balten, Rumänen und Polen haben bereits jetzt schon Angst vor diesem neuen robusten russischen Imperialismus. Denn Putins Machthunger kennt keine Grenzen mehr. Und auch eine Föderation kommt für Putin nur als Zwischenlösung in Frage.
Es wird Zeit, diesem Imperialismus entgegenzutreten. So wie der Westen damals in der Kuba-Krise und am Checkpoint Charlie und bei der Berlin-Luftbrücke den Russen entgegengetreten ist. Der Westen braucht Politiker wie Ronald Reagan.
Es ist Schluss mit Appeasement. Jetzt. Bevor der Preis zu hoch wird.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier mutiert zu einem Vasall und Gehilfen Putins.
Steinmeier formuliert es ungefähr so: man müsse die Nachbarn Russlands – wie beispielsweise die Ukraine – nicht mehr länger vor eine Entweder-Oder-Entscheidung stellen. Damit übernimmt Steimeier ohne Not die ultimative Forderung Russlands nach einer Neutralität der Ukraine und tut noch dabei so, als wäre es seine eigene Idee, zwischen der Nato und Russland neutrale Pufferzonen einzurichten.
Steinmeiers neue Ostpolitiksoll Russland eine Einflusssphäre garantieren. Dabei ist Steinmeier der Wille der Menschen in der Ukraine, in Moldawien und Georgien egal. Steinmeier fällt zurück in die Aussenpolitik des 18. und 19. und 20. Jahrhunderts, in welcher Deutschland zusammen mit Russland auf Kosten der zwischen ihnen liegenden Staaten Kompromisse machen. Diese Ostpolitik von Steinmeier verrät die Interessen unserer europäischen Nachbarn Polens, des Baltikums, der Ukraine und anderer osteuropäischer Staaten.
Die Rücksichtnahme auf eine 3/4 Diktatur Russlands, in der die Meinungsfreiheit, die Pressefreiheit und andere Freiheiten eingeschränkt ist, ist nicht hinnehmbar und sendet falsche Signale aus. Signale der Ermunterung an Moskau: du darfst weiter unfair spielen und dich nicht an die Völkerrechtsgesetzgebung halten.
Signale an Osteuropa: Deutschland ist eine gute Handelsbeziehung zu Moskau wichtiger, als die Freiheit der Osteuropäer. Steinmeier folgt damit dem uralten sozialdemokratischen Instinkt, es sich mit den vermeintlichen Sozialisten in Moskau gut einzurichten und damit ein Gegengewicht zur Westbindung der Bundesrepublik zu erstellen, die Konrad Adenauer gegen den Willen der moskaugeneigten SPD durchgesetzt hat.
Fatal ist an dieser im vorauseilenden Gehorsam den Russen unterwürfigen Ostpolitik, dass diese zur Neutralität gezwungenen Staaten jederzeit der Willkür und Arroganz russicher Macht ausgesetzt sein werden. Die Instrumente dazu sind bekannt: Drehen an der Gaspreisspirale, Drehen am Gashahn, Verweigern von niedrigen Zöllen – oder aber auch Hineinzwängen in eine eurasische Zollunion – bis hin zu militärischen Muskelspielen oder Abspaltungen. Folge dieser militärisch schwachen neutralen Staaten direkt an der Grenze zu Moskau könnte dauerhafte Unsicherheit und latenter Unfrieden sein.
Steinmeier liefert Osteuropa damit fahrlässig der Willkür Russlands aus. Er könnte damit ungewollt den Grundstein für weitere später folgende militärische Eroberungen Moskaus legen.
Umfragen zur öffentlichen Meinung in der Ukraine ergeben ganz klar, dass sich nur 28 Prozent der ukrainischen Bürger gegen einen EU – Beitritt, 53 Prozent aber dafür aussprechen. Zugleich zeigen die Umfragen aber einen großen Riss innerhalb der Ukraine: im Westen und in der Zentralukraine sprechen sich zwischen 90 und 73 Prozent für einen EU-Beitritt aus. Im Süden sind es nur 29 und in der Ostukraine sogar nur 22 Prozent. Eine Hinwendung zu einem eurasischen Bündnis aus Russland, Weißrussland und Kasachstan befürworten in der Ukraine jedoch lediglich nur zwischen 6 und 11 Prozent der Bevölkerung.
Nachdem Putin sich in den letzten Jahren mit militärischer Gewalt die Gebiete Südossetien und Abchasien und inzwischen auch die Krim einverleibt hat, bleibt als Fazit die ernüchternde Erkenntnis, dass trotz aller Einbindung Russlands in den Nato-Russland-Rat, in die G8-Gruppe Russlands Präsident Putin die offene und ausgestreckte Hand der Nato nicht ergriffen hat und nicht ergreifen will. Trotz aller Gespräche und Gesprächsangebote, trotz der geduldigen Diplomatie Deutschlands und der EU, trotz der Tatsache, dass die Nato mit Rücksicht auf Russland die Ukraine, Georgien und Moldawien bisher nicht in die Nato aufgenommen haben, fühlt sich Russland vermeintlich eingekreist und als Verlierer des Kalten Krieges.
Russische Selbstkritik ist kaum zu hören und kaum zu vernehmen. Russland selbst und die sogenannten Putin-Versteher reden dauernd davon, dass man Rücksicht auf Russland nehmen muss. Wieso eigentlich fordert man nicht umgekehrt, dass Russland auf seine viel kleineren Nachbarn Rücksicht nimmt?
Konzept- und führungslos durch die Krisen der Welt.
Der Westen war stark:militärisch, wirtschaftlich und konzeptionell – aber auch ethisch und moralisch. Doch mit dem Fall der Berliner Mauer und dem Ende des kalten Krieges gingen auch die starken Führungspersonen in allen Ebenen der Gesellschaft – in Wirtschaft und auch in der Politik – in den Ruhestand.
Sie wurden abgelöst durch eine Führungsriege, die durch die Flower-Power-Zeit der 68er Generation beidseits des Atlantiks geprägt wurde. Hüben Gerhard Schröder, Joschka Fischer – Drüben Bill Clinton und Barack Obama. Kanzlerin Angela Merkel gehört zwar nicht richtig dazu, aber auch sie kennzeichnet Sprunghaftigkeit statt Geradlinigkeit. Auch sie ist unberechenbar flexibel und nicht in der Lage Identität zu stiften. Heute für die Atomkraftverlängerung – morgen für den vorzeitigen Ausstieg derselben. Heute gegen den Mindestlohn – morgen plötzlich dafür.
Identität und Verlässlichkeit können sich so nicht mehr entfalten.
Das trifft nach innen zu – aber auch nach aussen. In der Innenpolitik gibt es keinen verlässlichen Kompass mehr – weder innerhalb der CDU, noch in der SPD. Alles ist beliebig verhandel- und umsetzbar. Es geht zu wie im traditionellen arabischen Basar.
Wobei die Araber wahrscheinlich einen gefestigteren Standpunkt haben in Punkto Gesellschaftspolitik, Moral und Weltbild, als unsere derzeitigen Spitzenpolitiker.
Diese mangelnde Standfestigkeit in grundsätzlichen Fragen der Wirtschafts- und Finanzethik strahlt aus bis hin zur Feigheit, in aussenpolitischen Konflikten auch mal den eigenen Standpunkt und die eigenen fundamentalen Werte mit mehr als nur hohlen und geduldigen Worten zu untermauern.
Sehen wir uns die Finanzkrise an: wo sind die grundsätzlichen Werte der Politik, die unsere soziale Marktwirtschaft kennzeichnen sollten, in der Praxis?
Es ist Zeit Wladimir Putin zu danken. Wie ein Sieb trennt er verlässlich jene, die noch zu den eigenen Werten stehen, von den neuen Russlandfans, deren geheime Sehnsucht wieder die zärtliche Knute melancholischer Kosakengesänge in Form moskowiter Hegemonie fühlen möchte und das im feinsten Neusprech deutsche Interessenpolitik nennen. Täglich trifft man auf neue Überraschungen unter jenen, die gern man bis vor Kurzem gern las. Heute entschied die einst geschätzte Bettina Röhl, sich mit einem vermutlich bewusst endlosen Pamphlet in der Wirtschaftswoche endgültig zu demaskieren, in dem sie ihr großes Talent dazu benutzte, die Realität ihren Lesern derart zu verdrehen, dass es dem großen Führer im Kreml ein wahres Fest gewesen sein muss. Da sie dabei so gut wie alle Propagandafelder der Putinversteher berührt, lohnt es zum Abschied den Artikel näher zu betrachten.
Die Propaganda der russischen Autokratie hat ein Grundproblem. Die Fakten sind ungemein schlicht. Es gibt ein Grenzgarantieabkommen mit der Ukraine, für das Russland deren Nuklearwaffen bekam, auch die neue ukrainische Führung hat daran nicht gerüttelt, nicht an der Krimautonomie, nicht am Sewastopolabkommen, nicht an den Rechten von Ukrainern russischer Herkunft. Russland hingegen ist in die Krim einmarschiert, hat eine dortige Marionettenregierung installiert, die ein Referendum unter russischen Waffen und entsprechender martialischer Dauerpropaganda abhielt, mit dem das erwartungsgemäße Ergebnis erreicht wurde,Gerüchten zu Folge in Sewastopol zur Sicherheit mit 123%, so dass nunmehr der Anschluss beschlossen wurde, also exakt das Muster von Adolf in Österreich. Gleichzeitig sind massive russische Armeeverbände hinter der ukrainischen Grenze zusammen gezogen worden, die die jederzeitige Möglichkeit zur Invasion in die Ostukraine bieten. Bereits im Kaukasus hat Russland seit Jahren deutlich gemacht, dass es nur allzugern das einstige Sowjetimperium wieder herstellen will. Also Grund genug aus der Perspektive des abgerüsteten Deutschlands aufzuwachen und die Gefahren zu sehen, aus der Perspektive Polens und des Baltikums eine aufkommende Panik zu verspüren und aus Sicht der NATO ganz oben auf dem Tisch die Frage zu haben, wie kann die Integrität der östlichen Partner garantiert werden und wie setzt man den Akteuren in Moskau verständliche Stoppsignale, bevor sie an deren Grenzen aufmarschieren.
Die Aufgabe der putinschen Propaganda muss also darin liegen, möglichst viele Ablenkungsdiskussionen zu führen, dass den geneigten Lesern die Situation kompliziert vorkommt, sie entweder sagen, was sie am liebsten tun, da kennen wir uns nicht aus und halten uns raus oder gleich anfangen, den Wladi zu verstehen. Röhls Text ist in dieser Hinsicht ein wahres Meisterwerk.
Also beginnt sie mit Chruschtschow und seiner “Schenkung” der Krim an die Ukraine 1954, geht zurück zu Maria Stuart, den Schotten des Mittelalters und spekuliert über deren heutige Unabhängigkeitsmöglichkeiten, als bestünde irgendein Zusammenhang, die Ukraine wäre ein Kunstgebilde mit wechselnden Grenzen, es kommen ein paar Beispiele wo sonst in Europa Grenzen sich aufgelöst hätten und überhaupt wären Russland und sein Nachbar Brüder, die sich mal rauften, als könnten Staaten sich raufen und wären nicht Menschen daran beteiligt, die im Zweifel totgeschossen werden. Alles schwierig, kümmert Euch besser nicht drum, das ist die Aussage! Wo waren jetzt das Grenzabkommen, die Krimverträge? Fehlanzeige, aber wer merkt das schon.
Stattdessen fährt sie mit der Litanei von den europäischen Schuldigen fort. Bettina Röhl ist EU Kritikerin, das sind andere auch, aber eine gewisse Kategorie von denen hat daraus eine eher klinische Paranoia entwickelt, nach dem Motto, die Ukrainer wollten näher an die EU, also sind sie die Bösen. Dass die gar nicht scharf auf den Euro waren, sondern nur verzweifelt die EU als Lebensversicherung gegen russische Übernahmewünsche sahen, spielt keine Rolle. In einem so simplen Weltbild kommen dann die finstersten Verschwörungstheorien auf, die besagen, dass erst eine Einmischung der EU zu den Protesten geführt hätten, mithin die Demonstranten auf dem Maidan sich deshalb von Scharfschützen abknallen ließen, weil dunkle Eurokratenmächte sie manipulierten.
Röhl macht nebulöse Andeutungen, echauffiert sich über die Form der Amtsenthebung des Janukowitsch im von seiner Partei beherrschten Parlament, um die Übergangsregierung zu delegitimieren, dann bricht es aus ihr raus, das Monstrum EU und seine Nomenklatura hätte mit Gier nach der Krim gegriffen, was schon deshalb ohne Beleg bleibt, weil es barer Unsinn ist, sogar Bettina Röhl ist das klar. Wir wiederholen zur Erinnerung, Russland ist gerade in die Krim, ukrainisches Staatsgebiet, einmarschiert und hat die Annexion verkündet. Noch ein paar zusammenhangsfreie Ausführungen über Obamas gescheiterte Nahostpolitik und in der Sache völlig falsche Jugoslawienvergleiche, dann hat der Leser so den Faden zur Realität verloren, dass die Autorin zum Höhepunkt kommen kann, zur fassungslos machenden Ode auf die Demokratie, die sie in dem russischen Zwangsreferendum zu sehen meint. “Die gelebte Demokratie, die am vergangenen Sonntag in der Ukraine eindrucksvoll vorgeführt wurde”, die sie mit der freien Entscheidung der Deutschen zur Wiedervereingung vergleicht, angereichert mit höhnischen Ausführungen zur militärischen Schwäche der Ukraine und der wirklich dummdreisten Lüge, dass Putins Russland, das seine Agenten Unruhe in der ganze Ukraine schüren lässt, nichts mit der Destabilisierung dieses Landes zu tun hätte. Irgendwie ist das schon widerlich, eine durch eine vertragsbrüchige Invasion erzwungene Anschlussabstimmung, die die große Volksgruppe der Krimtataren einer ungewissen Zukunft ausliefert, als demokratische Tat zu feiern. Der Anschluss Österreichs war demnach wohl auch eindrucksvoll vorgeführte gelebte Demokratie. Hitler hatte zumindest weder die Grenzen Österreichs, noch der Tschechoslowakei zuvor garantiert.
Über fünf Seiten breitet sich die Autorin dieserart aus, auf das niemand mehr wahrnehme, worum es geht. Noch einmal: Grenzgarantie, Vertragsbruch, Invasion, Annexion, während die Ukraine sich an alle Vereinbarungen gehalten hat und eine bedrohliche Truppenkonzentration an der Ostgrenze der Ukraine. Das alles kommt bei ihr nicht vor. Das alles darf nicht vorkommen. Der Schwall von Nebenaspekten, Unwahrheiten und Verschwörungstheorien soll verdecken, dass nichts von dem, was hier geschrieben wurde, zur Bewertung relevant ist, die da heißt, hier vergrößert einer mit Gewalt sein Land, zerteilt seinen Nachbarn und wenn wir ihm nicht deutlich den Einhalt nahe legen, dann hört das nicht mehr auf.
Bettina Röhl baut vor. Sie zieht Vergleiche zur friedlichen Teilung der Tschechoslowakei und fragt sich, ob dies nicht auch der beste Weg für die Ukraine wäre. Das mag er vielleicht sein, aber zur Zeit diskutiert kein Ukrainer darüber, sondern der russische Nachbar schafft Fakten mit Soldaten. Immerhin wissen wir nun schon, wie Frau Röhl bei einem eventuellen Angriff auf die Ostukraine argumentieren wird.
Glückwunsch Frau Röhl, Wladimir Putin ist sicher stolz auf Sie. Ich hoffe, Ihre Abkehr von einem guten Journalismus, für den Sie einmal standen, hat sich wenigstens gelohnt.
Faktisch ist die Krim verloren – als Nächstes droht der Verlust der Ostukraine
Heute läuft auf der Krim das von Russland initiierte Pseudo-Referendum über den Anschluss der ukrainischen Krim an Russland, eskortiert von sogenannten Selbstverteidigungskräften, die über hunderte Fahrzeuge und modernste Kommunikation und auch Hubschrauber verfügen – und somit eindeutig als russisches Militär zu identifizieren ist, selbst ohne Hoheitsabzeichen.
2008 erst hatte Putin die georgischen Provinzen Südossetien und Abchasien mit militärischer Gewalt Russland angegliedert und kam damit ohne diplomatische oder andere Blessuren davon.
Nun haben wir 2014 und Russland wird sich mit militärischer Gewalt und einem Pseudo-Referendum die Krim einverleiben. Offizieller Grund hierfür ist der Schutz der russischsprachigen Zivilbevölkerung. Dieser Grund ist jedoch nur vorgeschoben, zumal es zwischen Russen, Ukrainern und Tataren unter ukrainischer Regierung immer friedlich zuging. Ein weiterer genannter Grund ist die Behauptung, die neue Regierung in Kiew besteht aus Faschisten. Wahr ist, dass die Menschen monatelang friedlich bei tiefsten Wintertemperaturen demonstriert hatten. Erst nachdem der ukrainische Sicherheitsapparat auf Anweisung von Janukowitsch begann, mit Gewalt gegen die Demonstranten vorzugehen, kamen einige rechtsexteme Gruppen ins Spielfeld des Maidan. Denn nur durch diese Gruppen konnte die Aggression der Sicherheitskräfte abgewehrt werden. Die normalen Demonstranten wären wehrlos der Staatsmacht ausgesetzt gewesen.
Wahre Gründe sind Wirtschaftsinteressen des South-Stream-Pipelines Projekt (durch kürzere Leitungswege wird viel Geld gespart und die Ukraine verdient nicht mehr mit), militär-geostrategische Interessen (gut ausgebaute Häfen der Schwarzmeerflotte Russlands, für die dann keine Miete mehr an die Ukraine gezahlt werden muss) und historisch-folkloristische Gründe.
Allerdings werden die angedrohten Sanktionen Putin eher noch dazu anstacheln, weitere Schritte zu unternehmen und sich – wenn schon denn schon – nun auch noch die Ostukraine bis zum östlichen Ufer des Dnjepr einzuverleiben. Hier ist die Montanindustrie mit etlichen Rüstungsbetrieben vertreten, die beispielsweise Getriebe für russische Panzer und Schiffe produzieren.
In der Ostukraine organisiert Russland gezielt pro-russische Demonstrationen und sorgt vermutlich mit gezielten Provokationen für eine systematische Destabilisierung.
Die Ukraine selbst ist Russland militärisch hoffnungslos unterlegen. Wenn die Nato aber nicht spätestens in einer oder zwei Wochen eine reale militärische Drohkulisse an der polnisch-ukrainischen Grenze aufbaut, dann wird Putin sich auch die Ostukraine einverleiben.
Moldawien könnte das nächste Gebiet sein, was sich Wladimir der Große dann nach dem Zerfall der Sowjetunion wieder zurückholt. Denn freiwillig werden die russischen Nachbarn wohl momentan kaum seiner geplanten eurasischen Union beitreten wollen.
Wenn Europa und die Nato der Ukraine jetzt nicht tatkräftig militärisch und finanziell hilft, dann wird die ukrainische Bevölkerung für ihren monatelangen Einsatz in bitterster Kälte bestraft. Darauf wird Enttäuschung und Abwendung vom Westen folgen. Darauf setzt Putin mit seiner Machtpolitik des 19. Jahrhunderts.
Nachfolgend drei Videobeiträge
Krim-Diskussion bei Maybrit Illner 2014
Euro-Maidan 2014
Krim: die schöne Halbinsel - Dokumentation
Krim - Feldzug im 2. Weltkrieg
Kleine Fakten für Putinversteher von Waldemar Pabst
Beliebt in Zeiten wie diesen, in denen es brenzlig zu riechen beginnt, ist das Verschanzen hinter Unwissen oder das Verständnis für die Motive des Aggressors. Beides erlaubt das zurückgelehnte Zuschauen ohne schlechtes Gewissen oder wichtigtuerisches Dummschwätzen über vermeintlich komplizierte Situationen, mit tiefgründigen Beschreibungen der Motive von Kriegsherren und Menschenfeinden, garniert mit den ungeniert aberwitzigsten Räuberpistolen über finstere westliche Machenschaften, von 6000 heimlich nach Deutschland gebrachten britischen Panzern (die gesamte NATO verfügte zur Hochzeit des Kalten Krieges über 5000), bis hin zum EU Griff nach der Schwarzmeerflotte (was zur Hölle wollten Brüssels Bürokraten mit rostigen Schiffen in einem Binnenmeer, egal, nur nicht mit Realität aufhalten). Jeder möchte mal Schwall-Schwadroneur sein.
Seit Jahren und mit Sorgfalt hat Putins Russland sich durch die gesamte Bandbreite der Politik dienstbeflissene Helfer geschaffen. Dass die umbenannte SED auf der Linken, einst sowjetische Gründung, weiter zu ihrer Geschichte steht, entspricht den Erwartungen, die Verschwörungstheoretiker vom Schlage Elsässer, Kopp Verlag und Ken Jebsen finden neue Nahrung für ihren Hass auf die freie Welt, Regierungspolitiker wie Gernot Erler spielen Lobbyisten, Gazprom-Gerd Schröder waltet seines Amtes, die sonst geschätzte Publizistin Bettina Röhl und andere Schreiberlinge machen es auf intellektuelle Weise, AfD wie Neue Rechte sehen in Russland den Heilsbringer für die deutsche Weltgeltung. Alle gehen mit geschriebenem Dauerfeuer in Stellung, um dem Annexionskrieg beizuspringen. Junge Welt und Junge Freiheit Arm in Arm, es könnte zum Lachen sein, wenn der Anlass nicht so traurig wäre und die verbreiteten Lügen nicht derart krass das Gegenteil der Wahrheit verkündeten. Dabei sind die inneren Verhältnisse der Ukraine gar nicht relevant zur Beurteilung des gezielten russischen Vorgehens und der offenen Angriffs- und Eroberungsplanung.